Von Germinal Civikov Germinal Civikov, 1945 in Russe (Bulgarien) geboren, ist Journalist und Literaturwissenschaftler. Seit 1975 lebt er im niederländischen Den Haag, von wo aus er jahrelang für die »Deutsche Welle« tätig war. Germinal Civikov hat die Prozesse vor dem Haager Jugoslawien-Tribunal genau verfolgt. Im Wiener Promedia Verlag sind von ihm »Der Milosevic-Prozess. Bericht eines Beobachters« und »Srebrenica. Der Kronzeuge« erschienen.
Zitat»Himmler des Balkans« – so titelte »Der Standard« aus Wien seinen Kommentar zur Eröffnung des Prozesses gegen Radovan Karadzic. Heinrich Himmler, »Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums«, betrieb die »Eindeutschung« der besetzten polnischen Gebiete durch Vertreibung und Vernichtung von Polen und Juden. Genauso habe es auch der Präsident der bosnischen Serben getrieben, meint wohl der Autor und zieht dann einen weiteren historischen Vergleich: Die Belagerung von Sarajewo durch die bosnischen Serben habe länger gedauert als die Blockade Leningrads durch die Deutschen. Schlimmer als die Deutschen wüteten also die bosnischen Serben mit ihrem Himmler an der Spitze.
Damit sind wir beim vertrauten Medienbild vom blutigen Untergang Jugoslawiens: Wie Himmler im Auftrag des Reichskanzlers Adolf Hitler in Polen, so auch Karadzic in Bosnien im Auftrag des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic. Diesen nannten die Medien »Hitler des Balkans«. Mit ihren Hitler und Himmler an der Spitze haben also die Serben die anderen jugoslawische Völker angegriffen, Vernichtungslager betrieben und einen Völkermord begangen. Immer wieder kann man sich wundern, wie erfolgreich dieses Bild im öffentlichen Bewusstsein verankert wurde.
Das Jugoslawien-Tribunal hat es sich scheinbar vorgenommen, dieses Medienbild strafrechtlich zu beweisen. Der Prozess gegen den Politiker Vojslav Seselj entwickelte sich schnell zu einem kompletten Fiasko für die Anklage. Nun sitzt Seselj schon acht Jahre in Haft, Richter und Ankläger sind ratlos und Medienberichte zu diesem Skandal gibt es überhaupt keine.
Liest man die Anklageschrift gegen Radovan Karadzic, so ist eine ähnliche Entwicklung seines Prozesses programmiert. Auf Drängen der Richter wurde die Anklage mehrmals umgeschrieben und gestrafft: Die Zahl der Gemeinden, in denen man Karadzic Kriegsverbrechen und Völkermord zur Last legt, ist von 41 auf 27 geschrumpft, von 450 Zeugen blieben 159. Hätte man gute Beweise, dürften zur Verurteilung auch 10 Zeugen ausreichen. Will man allerdings das in die Welt gesetzte Medienbild strafrechtlich bestätigen, dann reichen auch 1000 Zeugen nicht.
Wie im Milosevic-Prozess werden nun wieder alle erdenklichen Kriegsverbrechen zur Schau geführt, ganz hoch oben prangert Völkermord, nun aber in einer erweiterten Fassung. Als Völkermord galten bisher, problematisch genug, nur die immer noch nicht aufgeklärten Massenmorde von Srebrenica im Juli 1995. Die Anklage will nun aus dieser örtlichen und zeitlichen Einschränkung herausbrechen. Alle von bosnischen Serben begangenen Kriegsverbrechen sollen als Völkermord gelten. Auch die Vertreibung und Inhaftierung der bosnischen Muslime wird als Völkermord aufgewertet, weil man damit ihre Vernichtung als Volksgemeinschaft herbeiführen wollte. Sollte die Anklage damit Erfolg haben, würde man anerkennen, dass die bosnischen Muslime als Volksgruppe während des Krieges Opfer eines Völkermords gewesen sind. Zwei Dokumente scheinen mir diesem Anliegen der Anklage im Weg zu stehen: der »Bosnische Atlas der Kriegsverbrechen« und das Urteil des Internationalen Gerichtshofs (IGH) von 2007 in der Klage Bosniens gegen Serbien wegen Völkermordes.
In dem »Atlas« werden namentlich alle 97 207 im Krieg getöteten muslimischen, serbischen und kroatischen Zivilisten und Soldaten genannt. Nach dieser neuesten Ermittlung der Opferzahl gibt es also keine 250 000 bis 300 000 muslimischen Opfer, wie es uns die Medien vorgehalten haben. Das Bild ändert sich zusätzlich, wenn man die Zahl der Kriegsopfer in Relation zu deren Bevölkerungsanteil bringt. Die Muslime, 44 Prozent der Bevölkerung, haben 66 Prozent der Opfer zu beklagen. Die Serben, 31 Prozent der Bevölkerung, stellen 26 Prozent der Opfer. Die übrigen 8 Prozent der Opfer sind Kroaten, die einen Bevölkerungsanteil von 17 Prozent hatten. Die Zahl der im Krieg getöteten und verschollenen Muslime beläuft sich auf etwa 64 000. In Relation zu ihrem Bevölkerungsanteil haben also die Muslime mehr als doppelt so viel Opfer zu beklagen als die Serben. Dies lässt sich aber z. T. dadurch erklären, dass die bosnischen Muslime auch mit-einander gekämpft und dass sie mit den Kroaten Krieg geführt haben. Nicht alle Opfer auf muslimischer Seite haben also die bosnischen Serben zu verantworten. Alle drei Bevölkerungsgruppen haben sich Schreckliches angetan und eine herausragende Mordlust der bosnischen Serben ist nicht zu erkennen.
Am 26. Februar 2007 wies der IGH die Klage Bosniens und Herzegowinas gegen Serbien wegen Völkermordes im Bosnien-Krieg ab. Zwar hat der IGH das Urteil des Jugoslawien-Tribunals übernommen, wonach es in Srebrenica 1995 einen Völkermord an den bosnischen Muslimen gegeben hat. Serbien wurde zwar gerügt, nicht alles unternommen zu haben, um diesen Völkermord zu verhindern, wurde aber freigesprochen, am Kriegsgeschehen in Bosnien beteiligt gewesen zu sein.
Konsequenzen dürfte dieses Urteil auch für die Völkermord-Anklage im Karadzic-Prozess haben. Die meisten der Orte, die in der Anklage als Orte eines Völkermords Erwähnung finden, waren schon in der abgelehnten Klage Bosniens gegen Serbien angeführt. Nach Prüfung der Beweise haben die Richter des IGH jeweils den Tatbestand eines Völkermordes in diesen Orten zurückgewiesen. Auch für die Beschießung von Sarajewo lehnten sie den Tatbestand eines Völkermords ab. Die Anklage gegen Karadzic bewertet »ethnische Säuberungen« in weiteren von den Serben beanspruchten Gebieten ebenso als Völkermord. Auch das gab es aber schon in der Klage Bosniens vor dem IGH, und die Richter haben es resolut abgelehnt, »ethnic cleansing« als Völkermord zu bewerten.
Es scheint, als stört es die Ankläger des Jugoslawien-Tribunals nicht, wie der IGH bereits entschieden hat. Sie haben zum Zwecke des Karadzic-Prozesses die vom IGH bereits abgelehnte Klage Bosniens gegen Serbien wegen Völkermordes einfach umgeschrieben. Und voraussichtlich werden sie mit ihr vor den Richtern des Jugoslawien-Tribunals Erfolg haben. Denn Himmler muss hängen.