[textbox]China schafft das größte Comeback der Weltgeschichte
Chinesen waren über Tausende von Jahren die Besten im Erfinden, Handeln und Kämpfen. Jetzt stehen sie davor, wieder Supermacht zu werden.
[img-200px]http://www.seanet.cc/File%202010/the_new_shanghai,_china.jpg[/img-200px] Metropolen wie Shanghai verkörpern Chinas neue Rolle in der Welt
Die Chinesen machen die Welt schwindelig. Keine Woche vergeht bei uns ohne Titelseiten von Magazinen oder Fernseh-Features, die respektvoll, ehrfürchtig, Furcht einflößend oder rätselnd raunen und warnen über die heraufkommende, bald alles beherrschende Supermacht. Was immer wieder vergessen wird: Es geht nicht um eine einfache globale Gewichtsverschiebung. Die passiert alle paar Generationen. Wir aber erleben eine historische Premiere: Zum ersten Mal wird eine einst führende Weltmacht nach vielen Jahrhunderten ein grandioses Comeback feiern.
Rom vermochte dies nicht, Spanien und Portugal, die ersten europäischen Weltmächte, ebenso wenig, die Briten, in deren Reich einst die Sonne nicht unterging, auch nicht. Ob es die USA in ein paar Hundert Jahren schaffen? China kehrt als führende Kraft zurück, nach vielen Epochen und Zeitaltern. Und wer heute den Nachfahren aus dem Reich der Mitte – durchaus zurecht – vorwirft, sie würden Wachstum und Wohlstand vor allem auf Plagiaten und geistigen Raubzügen im Westen gründen, der sieht beim Blick in die Geschichte, dass die Chinesen auch ganz anders konnten.
Das meiste, was wir als kulturelles Erbe des Abendlandes ansehen, war in Fernost schon Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende früher erfunden. Mal abgesehen vom Rad – bis Archäologen womöglich auch diese Errungenschaft irgendwann einmal aus einer acht- oder zehntausend Jahre alten Grube bei Peking ans Tageslicht holen.
Schon die letzte größere Ausgrabung dürfte ein Schock gewesen sein für diejenigen, die sich südlich der Alpen als geistige Nachfahren des Römischen Reiches ansehen: 4000 Jahre alt waren sie, die 50 Zentimeter langen und drei Millimeter dicken Spaghetti, die Archäologen vor fünf Jahren am Oberlauf des Gelben Flusses in drei Meter Tiefe unter einem Steinguttopf fanden. "Unsere Funde zeigen, dass Nudeln als Erstes in China produziert wurden“, reklamiert Grabungsleiter Houyuan Lu. Nicht einfach Nudeln wohlgemerkt, sondern in der Form, die heute geradezu identitätsstiftend ist für die Pasta-Nation Italien.
Die Weltmacht China gründete sich auf mehr als originelle Nudelformen. Francis Bacon, ein früher englischer Vordenker, hob 1620 in seiner Schrift "Novum Organum“ die "Kraft und Wirkung und die Folgen von Erfindungen“ hervor und machte den Sprung von der Antike zur Neuzeit konkret an drei Dingen fest: "Buchdruck, Schießpulver und Magnet(kompass)“, die dem Altertum unbekannt gewesen seien. "Kein Reich, keine Religion oder Philosophie, kein Stern hat größere Macht und größeren Einfluss auf die Entwicklung der Menschheit ausgeübt als diese Entdeckungen“, schreibt Bacon.
Mit Recht. Geht es doch bei ihnen um nichts Geringeres als die Weitergabe von Wissen, um die Kriegsführung und um den Weltverkehr. Was Bacon, der mit seiner Schrift die Schöpferkraft des Abendlandes und damit dessen geistige Weltherrschaft beschreiben wollte, nicht ahnte: Alle drei Errungenschaften waren in Fernost lange vorher im Gebrauch. Es war das Abendland, das sich als erster großer Plagiator der frühen Globalisierung hervortat.
Der Buchdruck, der auf Johannes Gutenberg im 15. Jahrhundert zurückgehen soll, war bereits in der Tang-Zeit Chinas sieben Jahrhunderte zuvor bekannt. Das dazugehörende Papier stammt nicht aus dem Mittelalter Europas, sondern aus dem ersten Jahrhundert Chinas, erfunden von dem Eunuchen und Minister Cai Lun. Vom Toilettenpapier über Taschentücher bis zu Banknoten war deshalb alles, was wir als Errungenschaft unserer modernen Kultur ansehen, dort längst in der Massenfertigung, als Marco Polo 1295 zurückkehrte. Sodass er nicht nur, wie manche schon länger ahnten, die Spaghetti nach Venedig mitbrachte, sondern bereits von einer verheerenden Inflation im Reich der Mitte berichten konnte. Das wichtigste Schmiermittel des Kapitalismus, es wurde zuallererst in China eingesetzt, mit dem ihm innewohnenden Übel, der Teuerung.
Dabei ist die Entstehung des Papiergeldes selbst einem Engpass geschuldet, der an heutige Zeiten erinnert, da China sich anschickt, alle Rohstoffe der Welt aufzukaufen und so den europäischen Prägeanstalten schon mal Nachschubprobleme für ihre Herstellung von Scheidemünzen zu bereiten: Dem Reich der Mitte war zu Zeiten Kaiser Gaozongs im 7. Jahrhundert schlicht das Kupfer ausgegangen für die Kleingeldproduktion – auch dies ein Zeichen früher wirtschaftlicher Blüte. Um 1100 erzeugten die Gießereien bereits 150.000 Tonnen Eisen und Stahl, was England erst 700 Jahre später im Laufe der industriellen Revolution erreichte.
Grundlage dafür war eine bestens funktionierende Verwaltung mit vielen Tausend eifrigen Mandarinen, die keinen Vergleich mit dem öffentlichen Dienst des Westens scheuen müssen, sowie eine Infrastruktur mit einem weitverzweigten Straßensystem. Die längste künstliche Wasserstraße der Welt ist bis zum heutigen Tag der 1800 Kilometer lange und 2400 Jahre alte Kaiserkanal, der ein paar Jahrhunderte später schon jene beiden Wirtschaftsregionen verband, die im 21. nachchristlichen Jahrhundert eigentlich die deutsche Magnetschwebebahn zusammenführen sollte: Peking und Shanghai. Die längste Mauer der Welt wird mit ihren 7000 Kilometern die Chinesische Mauer bleiben – wohl noch für weitere Jahrtausende.
Die Mauer gehörte nicht zur Infrastruktur, sie war Teil des aufwendigen Verteidigungsapparates, der die Errungenschaften des Kaiserreiches schützen sollte. Auch hier finden sich früheste Innovationen, die an moderne Zeiten, ja an die Mondfahrten der Supermächte des 20. Jahrhunderts erinnern. Noch heute lernen Schulkinder, dass im Jahr 1359 der Deutsche Berthold Schwarz das Schießpulver erfunden habe. Dabei jagten mit einer ganz ähnlichen brisanten Mischung aus Schwefel, Salpeter und Honig schon im 9. Jahrhundert innovations- wie risikofreudige Chinesen aus Versehen ihre Werkstätten in die Luft.
Zu Schwarz' Zeiten waren in Fernost bereits Mehrstufenraketen im Einsatz, mit Namen "Wilder Wasserdrachen“, bei denen die Treibsätze der ersten nach ein paar Sekunden die Zündschnur der nächsten Stufe zündeten – ähnlich wie heute bei Pekings Weltraum-Rakete "Langer Marsch“, die somit auf einer jahrtausendealten Technik basiert. Fantasievolle Namen zeichneten auch im Mittelalter Chinas Waffen aus: "Magische Krähe“, ein Vogel aus Papier und Bambus, gemästet mit Schießpulver. "Hundert gemeinsam jagende Tiger“, ein Vorläufer der Stalinorgel.
Ironie der chinesischen Geschichte ist es, dass in dem Moment, da selbst die Mauer und alle Raketennachrüstung nichts mehr nützte und das Kaiserreich von den Mongolen überrannt wurde, diese sogleich eine neue, die Yuan-Dynastie begründeten und das Land zu seiner größten internationalen Bedeutung führten. Diese Herrscher des Khan-Geschlechtes, Dschingis' Erben, geboten über das größte Staatswesen, das der Globus je sah, größer noch als die einstige Sowjetunion. Vom Pazifik bis an den Rand Mitteleuropas, vom Persischen Golf oder dem Mekong bis nach Nordsibirien, über die höchsten Berge der Erde, durch die trockensten Wüsten.
Gefürchtet waren die Mongolen im spätmittelalterlichen Abendland wie die Tataren und Hunnen. Nicht zu Unrecht, aber sie plünderten die überrannten Völker beileibe nicht nur aus, sondern lernten von ihnen, führten ihre Kultur, ihre Wirtschaft, ihre Sprachen und Religionen zusammen. Ihre Satellitenvölker und auch die Nachbarn hielten sie sich tributpflichtig, überall hatten sie ihre Gesandtschaften, die durch bestens unterhaltene und überwachte eigene Gesandtenstraßen von mehreren Zehntausend Kilometer Länge verbunden waren. Es war die Zeit, als auf der Seidenstraße der regeste Verkehr herrschte. Als dort Massen feiner Tücher, Edelsteine, Gewürze, Gold und Religionen über Stafetten hin und her strömten. Als die Araber als Mittler von Handelsgütern, Wissen und Technik zwischen Fernost und Fernwest zur eigenen Blüte kamen.
Am Ende der mongolischen Yuan-Dynastie war es dann der Eunuch Zheng He, dessen Vorfahren seit Langem den mongolischen Khan-Herrschern dienten, der im Jahr 1421 die weite Welt besegelte, um zu repräsentieren und Tribut einzufordern, als Admiral einer geradezu unvorstellbaren, einer fantastischen chinesischen Flotte. Nach Vorderasien, nach Afrika und wer weiß noch wohin. Der Buchautor Gavin Menzies ("1421“) behauptet: bis nach Amerika und dann ein paar Mal um die Welt.
Kaiser Yongle hatte zuvor in den Werften von Nanking eine gewaltige Seemacht aufbauen lassen: 250 Sieben- und sogar einige Neunmaster, alle mit doppelwandigem Rumpf. 400 weitere große Kriegsschiffe, 1350 Wachboote, 400 Frachter zur Versorgung der Besatzungen, insgesamt 3500 Wasserfahrzeuge standen zur Verfügung, die längsten von ihnen 150 (einige Quellen sprechen von 300) Metern, während Christoph Kolumbus 70 Jahre später auf der "Santa Maria“ gerade 27 Meter zum Ausschreiten hatte. Balkone hatten die Schiffe, wie sie erst heute wieder Kreuzfahrer bieten, Bäder, wie sie der christlichen Seefahrt bis in jüngste Zeit unbekannt blieben. Chronisten berichten, dass Zheng He mehrmals mit bis zu 30.000 Seeleuten unterwegs war, zuverlässig geführt von altbekannter chinesischer Kompass-Technik.
Lange hielten die Expansionsbestrebungen nicht an. Noch zu Zheng Hes Zeiten wurde die Flotte stillgelegt. Seit der folgenden, 300 Jahre währenden Herrschaft der Ming-Dynastie befanden auch alle späteren Kaiser – mit wenigen Unterbrechungen –, dass es das Beste sei für das Reich der Mitte, sich nach außen abzuschotten. Auch die kommunistischen Herrscher hielten sich daran. Erst heute spielt China wieder mit auf der großen Bühne. Und schon ist die Welt voller Respekt, Ehrfurcht und Angst.[/textbox]