So, ich poste es einfach mal in "Geschichte", wenn es da nicht reinpasst, dann kann TRI es bestimmt verschieben. Ich erzähle euch eine Geschichte über die 90-er Jahre in Russland. Wenn ich es den Deutschen hier erzähle, dann öffnen sie ihre Augen und den Mund so breit wie möglich und die Russen lächeln nur nostalgisch.
1991 ist die SU auseinander gebrochen, dabei hatte Russland zuvor die Unabhängigkeit erklärt (was man komisch fand, denn wie kann ein Staat von sich selbst unabhängig sein), aber am 31.12 war es offiziell so weit. Mein zukunftiger Onkel (der Mann meiner Tante) diente gerade in der Armee, hat sich so ergeben, dass das erste Jahr (1990) in der Sowjetarmee verging und zweite Jahr (1991) in einem Haufen bewaffneter Typen, die nicht einmal wussten, in welchem Land sie leben. So kam es auch dazu, dass er und seine Kameraden bei ihrem Gelöbnis dem Staat Treue schworen, welchem Staat aber wussten sie nicht (die haben auch so gesagt: "Ich schwöre dem Land treu zu dienen und es zu verteidigen bla bla bla", von Sowjetunion oder Russland gar keine Rede). Er diente in Kaliningrad, an der Grenze mit Polen. Sie hatten nur faule Kartoffeln gegessen, die man nicht einmal schälen konnte - sie flossen durch die Finger. Aber gemischt mit 10 Jahre altem Tomatenmark aus der Dose, reichlich Salz und Waldpilzen (die Pilze waren knapp, da die Polaken sie im selben Wald sammelten - die Grenze war allen scheiss egal) war das essbar. Typisch für unsere Armee, es war kaum besser davor und kaum besser dannach. Viele ahnten schon, dass die Situation mit dem Essen auch zuhause so ist/wird und es wurde so.
Ich bin im Jahre 1991 geboren, noch die SU, was in meinem Pass auch steht :stolz:. Die Menschen hatten in dieser Zeit (1991-1993/94) zwar noch Arbeit, aber monatelang keine Löhne. Ich kann mich nicht daran erinnern, denn ich war klein, aber es gab Zeit, genauer gesagt 2 Monate, wo man für einen Monat nur einen Sack Kartoffel hatte, dafür aber jeden Tag Brot. Sowas wie Klopapier hatte man zu dem Zeitpunkt schon lange nicht gesehen, dafür gab es alte Zeitungen. Das ganze Geld wurde für Babynahrung ausgegeben (da kam grad die Sache von Nestle, mit der Millionen der 90-er-Generation aufwuchsen). Wir wurden nur dadurch gerettet, dass die Cousine von meiner Oma reichliche Vorräte an Konserven hatte, die sie schon zuvor sich für so ein Scheiss vorbereitet hatte (Krieg, Erdbeben, Revolution, Alien-Angriff, was auch immer). Die Konserven bekamen wir und sie verbrachte die Zeit der Wirren bei der Tochter in Israel. Und da noch die Sache mit den Windeln - die gabs nicht, die gabs nie. Dafür selbst gemachte "Konstruktionen" aus Tüchern und es wurde natürlich mehrmals eingesetzt (Schmutzig - waschen, mit Hand natürlich, Waschmaschinen gabs nicht. Und die Kleidung wurde gekocht(!), jaja in einem Rieseneimer, dafür wurden alle Bakterien getötet). So lustig war es alles halt, ich kann mich nicht erinnern, aber es war wohl lustig - weiter - noch lustiger.
Arbeit. Die Arbeit gabs noch Anfangs, wie bereits gesagt ohne Löhne, aber sie gabs. Dann kam die Zeit, wo es sie nicht mehr gab. Meine Oma war Ingenieurin, genau wie meine Eltern, und arbeitete als Putzfrau, meine Mutter als Sekretärin und mein Vater in einer Eisfabrik. Mein Onkel war ein Feldscher (etwas zwischen Krankenschwester und richtigem Arzt), meine Tante auch. Meine Tante machte ab und zu Massage und arbeitete kurz in der Notaufnahme und ein Jahr sogar als Lehrerin (!), mein Onkel bewachte einen Parkplatz, verlor diesen Job aber, als er und sein Kumpel mit gut (1,5-2 Promillen) nachts ein Auto "ausgeliehen" haben. Die Folgen kann man sich vorstellen. Dann gabs keine Arbeit mehr. Mein Onkel und meine Tante beschlossen Buisness zu machen. Sie kauften in Moskau Zahnpaste ein und verkauften es in einem Zelt am Rande des Marktes in unserem Stadtteil. Der Profit war enorm, dank diesem Geld konnte man sich leisten ab und zu mal Obst und Gemüse zu kaufen, an Feiertagen - Saft. 97 oder 98 hauten die nach Deutschland ab. Allgemein, alle Menschen wollten abhauen. Das Wort Patriot wurde schon fast ein Schimpfwort und Synonym für Dummheit. Hauptziele waren Europa und Israel, aber am geilsten natürlich die Vereinigten Staaten von Amerika, legal oder illegal - scheiss egal.
Als ich klein war schickte man mich in den Kindergarten, es war schon beinahe Elitekindergarten, denn man musste zahlen (so umgerechnet 30 Euro nach heutigen Verhältnissen - damals aber hatte nicht jedes Kind so ein Riesenglück. Da gab es gutes Essen, leider fast jeden Tag Schmorkohl. Beilagen - Fehlanzeige. Dafür gab es Trockenobst, Tee mit Zucker und (wow!) frische Gurken selbst im Winter(!) und natürlich lecker Eis (schockgefrorenes Milch mit Zucker). Aber da mein Vater in einer Eisfabrig arbeitete bekam ich öfters was richtiges, meist aber beschädigte Waffelbecher.
Spielzeuge. Joa, Holzteile, die man nicht kaputt machen kann und soll und später Kleine Autos aus China oder Gummipuppen (nichts falsches denkten). Basta.
Essen. Meine Oma hat immer lecker gekocht, sie schaffte es gleich drei Gerichte aus einem Stück Fleisch zu machen. Wir hatten auch den Vorteil, dass meine andere Oma im Dorf lebte und ab und zu was schickte. Schweinezungen und alle möglichen Innereien - der Burner! Schmeckt mir immer noch ganz gut und dies alles kann man im russischen Laden in DE kaufen, nich wegen der Nostalgie, sondern weil es Volksessen ist. Frische Gurken und Tomaten gab es auch, wir hatten eine Datscha mit einem Grundstück von unglaublichen 600 m². Im Winter konnte man Anfang der neunziger kein frisches Obst und Gemüse kaufen, später konnte man es kaufen, aber nicht leisten. Daher wurde alles Gemüse eingelegt und aus Obst lecker Marmelade gekocht. Statt Saft gab es Kwas(so ein nationales Getränk aus (altem) Brot), was immer noch mein Lieblingsgetränk ist, obwohl das was man hier in DE kaufen kann nur künstlicher Scheiss ist. Es wurde in großen Zisternen verkauft (eigene Flasche mitbringen). Es gab einen Fall, wo die Pipe der Zisterne durch eine tote Ratte verstopft wurde, das andere mal gab es reichlich Leichenwürmer drin. Egal, man ging zu der Zisterne eine Straße weiter.
Und so lebte man bis in die 00-er, jetzt hat sich die Lage etwas verbessert. Es gibt Obst und Gemüse auch im Winter.
Wenn mir noch was einfällt, dann poste ich es hier. Ich hoffe, es hat euch gefallen (wenn ihr es gelesen habt)!